Zeitzeugin Edith Kraus zu Besuch in der Oberstufe

 

Auf Einladung der Initiative „Gedenken in Harburg“ war die Zeitzeugin Edith Kraus aus Israel zu Besuch in der Stadtteilschule Süderelbe. Sie traf dort Schülerinnen und Schüler aus den Jahrgängen 11 und 12 berichtete ihnen über ihr Überleben in der Zeit der Judenverfolgung während des zweiten Weltkriegs. Begleitet wurde Frau Kraus von Mitgliedern der Initiative, unter anderem Heiner Schultz, der regelmäßig Führungen auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers am Falkenbergswerg durchführt, indem auch Frau Kraus einige Monate im Winter 1944/45 verbrachte.

Anschaulich und nachvollziehbar schilderte Frau Kraus geb. Polach, wie sich ihre Kindheit und Jugend in Prag durch das NS-Regime unter Hitler schlagartig veränderte. Wie man ihrer Familie, in der Frau Kraus bis dahin ohne Konfession aufgewachsen war,  Stück für Stück die Lebensgrundlage entzog, indem man ihr erst sämtlichen Besitz nahm, den Vater als Staatsbediensteten entließ, sie ihre Wohnung verlassen mussten, Verbote aussprach, dass Juden sich nicht an öffentlichen Plätzen aufhalten durften und somit kein Geld, keine Arbeit und fast keine Freizeitmöglichkeiten mehr hatten. Edith Kraus durfte auch keine Schule mehr besuchen, fand aber immer wieder Möglichkeiten, heimlich privaten Unterricht zu bekommen.

In den Folgejahren wurden sie und ihre Familie hin- und hergeschickt zwischen den Lagern Theresienstadt, Ausschwitz-Birkenau, den Außenlagern Veddel, Neugraben und Tiefstack, nirgends sollten sie lange bleiben, um keine Kontakte aufzubauen oder Sicherheit zu erlangen. Anfang 1945 kamen sie nach Bergen-Belsen, das Frau Kraus rückblickend bis heute als „Hölle“ beschreibt, aus der sie dann aber von der englischen Besatzung bei Kriegsende befreit wurden.

Die Schülerinnen und Schüler der Stadtteilschule Süderelbe hörten Frau Kraus konzentriert und betroffen zu, als sie ihnen schilderte wie sie in der Anfangszeit in Theresienstadt aus Platzmangel mit ihrer Familie in Korridoren zwischen den Mauern, auf dem Boden, lebten. Wie sehr sie in all den Jahren unter Hunger und Kälte litten oder wie schwierig es war auf engstem Raum mit vielen fremden Menschen ohne Privatsphäre  und unter schlechten hygienischen Bedingungen zu leben. Ihre Eltern überlebten die Gefangenschaft nicht. Edith Kraus schützte sich mit  einer kindlichen Naivität, die sie davon überzeugt sein ließ, dass sie den Krieg und die Gefangenschaft überlebt, wie sie den Schülern auf Nachfrage verriet.

Sehr ruhig und vielfach erschüttert reagierten die Schülerinnen und Schüler auf die Erzählungen von Frau Kraus. Ein Schüler fragte irritiert, warum sie und ihre Familie, die nicht religiös waren,  überhaupt nach Theresienstadt kamen. Erstaunt erfuhren die Schüler vom  Ahnenpass, der ab 1933 ausschließlich darüber Auskunft gab, ob man „arischer“ Abstammung war. Die Nürnberger Gesetze von 1935 dienten als rechtliche Grundlage zur allgemeinen Judenverfolgung, unabhängig ob religiös oder nicht, handelte es sich um ein reines Rassengesetz. Eine Schülerin konnte es dennoch nicht glauben, die Aufpasser in den Lagern konnten Misshandlungen und Drangsalierungen doch nicht aus Überzeugung oder gar Freude gemacht haben. Frau Kraus erwiderte, dass es leider sehr viele böse Menschen gegeben hat, die mit voller Absicht handelten.

Im Außenlager Neugraben waren die Frauen auch für die Bevölkerung sichtbar, wenn sie in Sträflingskleidung, mit Holzschuhen und ohne Socken im Winter durch die Straßen zu ihren Arbeitsstätten laufen mussten. Wie hat die Bevölkerung reagiert? Darauf angesprochen erinnert sich die Zeitzeugin, dass viele wegsahen, aber einige Bewohner stellten den Frauen auch heimlich etwas zu essen an den Straßenrand oder in die Nähe des Lagers.

Die Stille in der Pausenhalle war greifbar. Die Oberstufenschüler konnten sich schwer vorstellen, dass sich alles so zugetragen hat, erfuhren nun aber ganz authentisch, welchen Leidensweg die Juden zur damaligen Zeit überstehen mussten.
Warum stellt sich Frau Kraus bis heute den Strapazen einer Zeitzeugin, wollten die Schüler noch wissen. „Weil es sehr wichtig ist, gegen den Hass zu arbeiten“, entgegnete Frau Kraus, die seit 1949 in Israel lebt. „Man darf keinen anderen Menschen hassen. Jeder Mensch hat das Recht zu leben“, gab sie den Schülern noch  mit auf den Weg.