Mit Unterstützung der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch hatte der Russischkurs des Jgs. 8 gemeinsam mit seiner Russischlehrerin die besondere Gelegenheit, die im 19. Jh. erbaute Kolonie Alexandrowka in Potsdam zu besuchen. Diese erscheint wie ein idyllisches Relikt russischer Kultur mitten in Brandenburg.
Doch für uns war nicht das äußere Bild entscheidend: Wir wollten viel mehr hinter die Fassaden blicken und durch kritisches Denken verstehen, wie die Menschen dort tatsächlich gelebt haben. Dabei standen nicht nur die Geschichte des Ortes, sondern auch die Architektur und die Lebensumstände der damaligen Bewohner im Mittelpunkt. Mit fachkundiger Unterstützung unserer Gesellschaftslehrerin Lynne Teßmann und einem professionellen Guide der Kolonie Alexandrowka konnten wir den Ort besonders intensiv erkunden.
Zunächst zeigten sich die Schüler:innen beeindruckt von der malerischen Gestaltung der Kolonie und den scheinbar typisch russischen Holzhäusern. Doch bei genauerem Hinsehen traten zahlreiche Widersprüche zutage: Die Gebäude waren nur außen mit Holz verkleidet, im Inneren jedoch aus Ziegelstein gebaut, also keine authentisch russischen Holzhäuser. Auch der Ofen entsprach nicht der traditionellen russischen Bauweise, sondern war preußischen Ursprungs. Ein besonders aufschlussreicher Moment war die Entdeckung eines Balkons ohne Zugangstür. Schnell wurde klar, dass dieser lediglich dekorativ und nicht funktional war. Für viele war das ein deutliches Zeichen dafür, dass das Leben in der Kolonie möglicherweise mehr inszeniert als authentisch war – ein Gedanke, der in der anschließenden Diskussion intensiv aufgegriffen wurde.
Erstaunen löste auch die Information aus, dass jede Familie im 19. Jh. eine Kuh und einen großen Apfelgarten erhielt und verpflichtet war, beides zu pflegen. In dieser Hinsicht erinnerte die Kolonie an ein Freilichtmuseum des russischen Lebens mitten im damaligen Preußen. Besonders kritisch wurde aufgenommen, dass Familien die Kolonie verlassen mussten, sobald der Vater verstarb und es keinen Sohn in der Familie gab. Obwohl die Kolonie ursprünglich als Geschenk des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. an die Familien gedacht war, wirkte dieses Detail auf viele Schüler:innen befremdlich.
Am Tag nach dem Ausflug reflektierte die Klasse ihre Eindrücke im Russischunterricht in einer gemeinsamen Diskussionsrunde. Die Mehrheit sprach sich dagegen aus, im 19.Jh. in der Siedlung leben zu wollen. Auch heute könnten sich viele nicht vorstellen, in der Kolonie zu leben und von Touristengruppen beobachtet zu werden.
Die Exkursion zur russischen Kolonie Alexandrowka war für uns nicht nur eine spannende Reise in die Vergangenheit voller neuer Erkenntnisse und Eindrücke, sondern auch eine wertvolle Übung im kritischen Denken. Wir haben gelernt, dass es sich lohnt, hinter die Kulissen zu schauen – in der Geschichte ebenso wie in der Gegenwart, um ein realistisches und möglichst objektives Bild zu gewinnen.
Wir bedanken uns herzlichst bei der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch für dieses unvergessliche Erlebnis und die tollen Eindrücke!
Russischkurs des Jgs. 8 / Olga Dosta